Extremes Zentrum #4: Fragmente zur Ethik

Symbolbild des extremen Zentrums

Zum Abschluss meiner „Zentrum-Serie“ frage ich nach den ethischen Konsequenzen eines dynamisch-weiten Zentrums. Ich bin dabei noch auf der Suche – darum dieses Mal etwas Neues. Kein Fließtext, sondern eine kleine Sammlung von Fragmenten.

(Ethik? Hier verstanden als die Frage nach dem gelingenden oder guten Leben.)

Glück und Extreme

Ein Instagram-Post von Ido Portal:

More stillness of the mind – more movement of the body is a concept that is naturally intensifying in me with every passing moment. The purification of the extreme ends of the spectrum is what brings awareness and clarity to the muddy waters of our common life moments. It’s the unaware and sloppy mix of movement and stillness both external and internal that brings the slowly creeping dissatisfaction we often experience because when one is in full gear – approximating movement or stillness to the fullest that one gets filled with the free flowing ‚liquid of life‘ and all cares or needs disappear. Still in motion.

Ist dieser „freie Fluss der Lebensenergie“ nicht das, was wir im Aikido takemusu aiki nennen? (Okay, über diesen Begriff muss ich ein andermal ausführlich schreiben!).

Wären dann nicht Meditation (extreme Stille) und Körperarbeit (extreme Bewegung) die Voraussetzung für Aikido?

Sauna-Gleichnis

Meist tritt sie erst nach dem zweiten oder dritten Gang ein: diese unvergleichliche Sauna-Wonne. Extreme Wärme, extreme (oder einigermaßen intensive) Kälte im Wechsel.

Mich erinnert dieser Zustand an das Gefühl nach einer guten Taiji-Stunde.

Ein Zufall? Wohl kaum. Denn auch hier übt man ja den permanenten Wechsel von Extremen (Anspannung und Entspannung, yin und yang). 

Gelassenheit

Teil einer Lehrrede aus dem Pali-Kanon des Buddhismus.

»Sag, Sona, wenn die Saiten deiner Laute zu straff gespannt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« –

»Nein, o Herr.« –

»Wenn nun aber die Saiten deiner Laute zu schlaff gespannt waren, gab da wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« –

»Nein, o Herr.« –

»Wenn nun aber, Sona, die Saiten deiner Laute weder zu straff noch zu lose gespannt, sondern auf mittlere Tonhöhe abgestimmt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« –

»Ja, o Herr.« –

»Ebenso auch, Sona, führt allzu straffe Anspannung der Willenskraft zur Aufregung, allzu schlaffe Anspannung aber zur Trägheit. Darum, Sona, halte dich an ein Ebenmaß deiner Willenskraft, erwirb dir ein Ebenmaß deiner Fähigkeiten und so strebe dann nach dem Ziel!«

Das enge Zentrum spiegelt sich in der perfekt gestimmten Saite wider.

Das extreme Zentrum hingegen in der ganzen Vielfalt der Musik mit verschiedenen Saiten.

Facettenreichtum als gelingendes Leben

Geht es nicht darum, „Zeitvielfalt“ zu entwickeln? Erlebnisse anzusammeln und Langeweile auszuhalten? Top Gun Maverick ebenso wie Drive My Car zu genießen?

Weder noch noch

Im Buddhismus meint der „Weg der Mitte“ unter anderem: weder extremer Asketismus noch ausschweifender Genuss. Die Vermeidung von Extremen. 

Es gibt aber auch die extreme Vermeidung von Extremen. Die Unerschütterlichkeit des Geistes etwa, extremer Gleichmut.

Es zitiert beispielsweise Emmanuel Carrere in seinem Buch Yoga eine Lehrrede Buddhas, in der ein Meditierender dafür gelobt wird, in Geistesruhe zu verharren, obwohl gerade dessen Frau von einem Tod der Tochter berichtet. 

Der Weg der weiten Mitte wäre: weder noch noch. Weder extremer Asketismus, noch extremer Hedonismus, noch extremer Gleichmut. 

Das Gegenteil im Gegenteil

Warum ist das extreme Zentrum noch ein Zentrum?

Der Ausflug ins eine Extrem verlässt die „weite Mitte“ genau in dem Moment, in der das Gegenteil nicht mehr zu erahnen, nicht mehr zu erreichen, nicht mehr zugänglich ist. 

Bildlich gesprochen: Das Ende der extremen Mitte ist Bruch eines gebogenen Astes. Oder der Moment, in den wir zwar in den Diagonal Stretch hinein, aber nicht mehr rauskommen.

Im Biegen des Astes entsteht die Gegenspannung, die in die andere Richtung weist. Bricht der Ast, so ist auch das andere Extrem verloren.

Mittelwert und Varianz

Ekstase und radikale Abgeschiedenheit sind kein Außerhalb-der-Mitte. Sie bedingen sie. Sie sind ein Teil von ihr. 

Für alle Statistiker:innen: Das extreme Zentrum ist eine Mitte des Durchschnitts. Der Durchschnitt ist aber nur eine notwendige Bedingung. Entscheidend ist die Höhe der Varianz.

Weltzugewandt

Je weiter unser Zentrum ist, desto mehr können wir uns öffnen. 

Je besser wir ab und an in uns Ruhe finden, desto mehr können wir uns in die Welt wagen, ohne uns in ihr zu verlieren.

Je mehr wir uns in die Welt wagen, desto weniger droht uns, uns in uns zu verlieren.


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